Mittwoch, 10. Juni 2015

Update “Die Arbeit” - von Fruchtblasen, Wärmelampen und Lungenentzündung



Pro Monat kommen im Lubaga Hospital (275 Betten) durchschnittlich 450 Kinder zur Welt. Zum Vergleich: in der Dresdner Uni-Klinik (1295 Betten) sind es knapp 200.

Meinen April habe ich also auf der Entbindungsstation verbracht. Zunächst zwei Wochen in der Aufnahme, Vorbereitung und Nachsorge und anschließend 14 Tage direkt im Kreißsaal.

Mein Tagesablauf in der Anmeldung sah dabei meist folgendermaßen aus: Putzen der Station (alles außer Böden und Fenster), Mitarbeit am Anmeldetresen (Patienten aufnehmen – Basiskosten 100.000UGX also ca. 35€, Messungen durchführen, Daten erfragen, Urinproben auf Proteine testen und Zuschauen beim Kanülen legen, Blut abnehmen, der vaginalen - und der Bauch-Untersuchung), Teilnahme an den Visiten (Untersuchung Öffnung des Muttermundes bei Schwangeren, Nachuntersuchungen bei frisch entbundenen Müttern und bei Kaiserschnitt-Patientinnen), Medikamentenrunden mitlaufen und nochmals Mitarbeit am Anmeldetresen. Wie auf bisher jeder Station brauchte ich auch diesmal ungefähr drei Tage um mich in die Abläufe einzuarbeiten und über eine Woche um im Kollegium akzeptiert zu werden. Nach dem eher kühleren Umgang im OP war ich sehr froh, dass hier wieder mehrere sehr liebe Hebammen und Krankenschwestern arbeiteten, die mich an die Hand nahmen und bemüht waren, mir Situationen zumindest kurz auf Englisch zu erläutern.
In diesen ersten Wochen habe ich sehr viele Grundlagen lernen und ausführen dürfen und andere Abläufe wurden mir ausführlich erklärt und gezeigt:
Wie legt man eine Kanüle, welche Venen sind geeignet, welche Medikamente werden darüber gegeben und wie reinigt man den Zugang
Die venöse Blutabnahme
Die Verlegung eines Patienten und damit einhergehend der Umgang mit dem Rollstuhl – auf dieser Station also Hochschwangere von der Anmeldung zu ihrem Bett oder direkt in den Kreißsaal (nur bei vollständiger Öffnung des Muttermundes) oder den OP (Risikoschwangerschaften, oft Mehrlingsgeburten, kritischer Zustand der Mutter, gebuchte Ops), frisch entbundene Mütter vom Kreißsaal zu ihrem Bett und Mütter und Babies an Tag 2 auf eine andere Nachsorgestation
Der Blasenkatheter (bei Kaiserschnitten – bei natürlichen Geburten ist der Druck auf den Katether beim Pressen zu hoch und würde Komplikationen hervorrufen habe ich gelernt)
Injektion und Punktion
Eine Infusionen vorbereiten, wechseln und überwachen
Die OP-Vorbereitung: Kanüle legen und entsprechende Medikamente geben, Infusion, Patienten Kleidung und Schmuck durch OP „Kleidung“ und OP-Haube ersetzen (meist muss man dabei auch noch die kunstvoll zusammengenähten Breads (geflochtene Zöpfe) mit einer Rasierklinge oder Schere auseinander schneiden) , Rasieren
Als ich endlich eine Routine in meiner Arbeit in der Aufnahme gefunden hatte hieß es dann aber schon wieder „wechseln!“ - aufgeregt und glücklich betrat ich also den Kreißsaal und wurde erst einmal unsanft wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Nachdem ich mich vorgestellt hatte, warum ich hier bin, was ich bereits gemacht habe und was ich darf und was nicht wurde ich einmal mit einem abschätzigen Blick bedacht: „du bist also keine Hebamme? Krankenschwester?... ah-ha!“. Also ein eher nicht so motivierender Start. Das Verhältnis zu den Hebammen wurde auch in den darauffolgenden zwei Wochen nicht besser, aber ich konnte mich davon überzeugen, dass es nicht an mir persönlich lag, denn ihr Umgang untereinander und vor allem auch gegenüber den Müttern war nicht unbedingt herzlicher. Was mich neben meinem Interesse davon abgehalten hat frühzeitig zu wechseln war eine einzige Kollegin. Sie hatte ihre Ausbildung in Südafrika absolvieren können, sprach perfekt Englisch und fand es gut, dass ich hier versuchte einen Einblick zu bekommen bevor ich mein Studium antrete. Ich hielt mich also vor allem an sie und konnte so dann doch noch recht viel lernen. Vor allem wohl den Umgang mit Ausscheidungen.. aber bevor ich hier ins Detail gehe, möchte ich euch eine Lagebeschreibung geben. Ich kannte den Kreißsaal als solchen bis dato nur aus TV-Serien und Filmen. Da gibt es geringfügige Unterschiede – je nach Drehort, aber im Großen und Ganzen sieht es meist folgendermaßen aus: ein großer Raum mit angenehmen Licht, eine Entbindungsliege, 2 bis 5 Mitarbeiter stehen um die Gebärende herum, davon meist ein Arzt, die Frau hängt an diversen Geräten, die konstant die Werte der Mutter und des Kindes messen – oft sieht man auch eine Sauerstoffmaske, mindestens ein Familienmitglied oder Freund ist anwesend und hält der Frau die Hand.. ich denke ihr habt das Bild vor Augen? Nun ich muss ehrlich zugeben, dass ich noch in keinem deutschen Krankenhaus im Kreißsaal stand, aber denke doch, dass dieser wohl eher an beschriebenes Bild heran kommt als an den Kreißsaal, in dem ich zwei Wochen mitarbeiten durfte. Es gibt zwei Kreißsäle im Lubaga Hospital. Nr. 1 hat 5 Liegen, Nr. 2 hat 3 Liegen. Diese sind voneinander mit Stoffvorhängen getrennt. Bis zum Boden reichen diese nicht und sie schließen auch nicht unbedingt vollständig. Zum Teil stehen die Liegen dabei so dicht aneinander, dass sich die Gebärenden an den Händen halten könnten. Neben der Liege steht ein Hocker für die zuständige Hebamme, ein Eimer für Urin und Erbrochenes und ein Eimer für infektiösen Müll (blutige Watte zum Beispiel). Angehörige sind im Kreißsaal verboten und auch Aussagen über den Zustand oder den Fortschritt der Frau werden eigentlich nicht gemacht. In Raum Nr. 1 befindet sich außerdem gleichzeitig der Platz um die Neugeborenen erstzuversorgen und ein kleiner Tisch für die Hebammen – an diesem wird manchmal auch Mittag gegessen – quasi neben dem Knie der Gebärenden auf der ersten Liege. Die Hebammen kochen den Frauen Tee, wenn diese alles dafür nötige mitgebracht haben. Sie müssen außerdem den Einmal-Matratzenschutz (2*), Handschuhe und Watte selbst mitbringen. Vom Krankenhaus gibt es ein Laken und das Patienten-Hemd. Nun stehen auch nicht die ganze Geburt lang 2 bis 5 Mitarbeiter unmittelbar zur Verfügung, sondern nur in regelmäßigen Abständen kommt eine Hebamme, um die Werte der Mutter zu kontrollieren und dokumentieren. Die Hebamme bleibt erst konstant an der Liege, wenn die Frau in der dritten Phase der Geburt ist (beginnend wenn das Köpfchen auf dem Beckenboden angekommen ist) und bleibt bis zum Ende der vierten Phase (Nachgeburt, Nähen, Säubern, Anziehen). Das Baby wird erstversorgt und kommt danach entweder in die Neugeborenen-Intensiv-Pflege oder wartet unter einer Wärmelampe darauf, mit seiner Mama gemeinsam zu ihrem Bett und der Familie gebracht zu werden.
Als ich das erste Mal bei einer Geburt dabei war, habe ich leider den entscheidenden Schritt verpasst, da mir, als das halbe Köpfchen draußen war, dann doch sehr schummerig wurde und ich mich erst einmal an die frische Luft begeben musste (ich dachte eigentlich nach meinen Erfahrungen im OP kann mich so schnell nichts mehr aus der Fassung bringen.. aber im Kreißsaal wird man doch noch einmal mit anderen Bildern und Gerüchen konfrontiert). Als ich wieder klar sehen konnte lag das kleine Wunder schon flauschig eingepackt unter der Wärmelampe und die Frau wurde bereits genäht. Da aber bei 8 Liegen (die auch fast alle immer belegt sind) eigentlich immer gerade eine der Schwangeren in Phase 3 ist, dauerte es nur 20 Minuten und ich konnte es erneut versuchen. Als die Hebamme der Mutter ihre Tochter auf die Brust legte, hatte ich dann doch zwei, drei Tränchen in den Augen. Ich durfte die Kleine wickeln und anziehen, nachdem eine Hebamme das Baby untersucht und sich um die Nabelschnur gekümmert hatte. Auch afrikanische Babys sind im übrigen am Anfang sehr, sehr hell. Nicht so weiß wie ich gewesen sein dürfte aber so „weiß“, wie ich momentan bin.
Meine Aufgaben? Aufräumen, Putzen, desinfizieren, mit Ausscheidungen umgehen (Frauen das Haar halten) und Liegen vorbereiten. „Natürliches Schmerzmanagement“ (den Frauen in ihren Wehen den Rücken massieren). Mithilfe bei der Erstversorgung der Neugeborenen und ggf. Verlegung des Babys auf die Neugeborenen-Intensiv-Station (+Report geben). Patientinnen verlegen. Mit Schülern gemeinsam die Werte der Frauen messen und dokumentieren (Highlight, vor allem was die Schwierigkeitsstufe anbelangt: Herztöne des Babys mit einem Hörrohr aus Holz hören). Hebammen in der dritten Phase der Geburt unterstützen indem Instrumente zugereicht werden.

Anschließend gab es einige organisatorische Probleme, was meinen Wechsel zur nächsten Station ein wenig verzögerte. In der Zeit arbeitete ich abwechselnd erneut im Public Health Departement und im Büro mit, um trotzdem weiterhin etwas zu tun zu haben.

Doch dann war es einmal wieder so weit und ich wurde in St. Bosco, der allgemeinmedizinischen Kinderstation, vorgestellt. Neben dieser gibt es noch die chirurgische Kinderstation, die Neugeborenen-Intensiv-Station und eine Tagesklinik mit Kinderärzten. Hier traf ich wieder auf nette Mitarbeiter und Schüler – sehr gut! St. Bosco hat 6 Zimmer, davon eines für Quarantänefälle und insgesamt 32 Betten. Es werden Kinder im Alter von 6 Wochen bis ungefähr 12 Jahren behandelt (aber der Wunsch besteht ein Zimmer mit größeren Betten auszustatten und so auch Jugendliche aufnehmen zu können). Es gibt einen Raum mit großen Waschbecken, damit Babybadewannen darin Platz finden, aber die Mütter nutzen ihn auch zum Wäsche waschen, einen Duschraum und Toiletten für die Mütter und die größeren Kinder, ein Vorratsraum, ein Desinfektionsraum und eine Art offenes Schwesternzimmer wo auch venöse Zugänge gelegt und Medikamente gegeben werden. 8.00 bis 9.00 Station putzen, organisieren und auffüllen, anschließend werden die Schüler und ich an verschiedene Ausgabestellen im Krankenhaus geschickt, um neue Materialien, Instrumente und Medikamente zu holen und gegen 10 Uhr startet dann meist die Visite. Diese habe ich bisher mit vier verschiedenen Kinderärzten erlebt, aber leider spricht nun eine Ärztin Englisch mit uns (Schüler, eine Krankenschwester, ich), die anderen sprechen durchgängig Luganda (und ich muss mich darauf beschränken die Akte zu lesen). Mit ihr macht es dafür aber richtig Spaß, denn sie nutzt die Visiten, um die Schüler abzufragen und zu unterrichten und macht dabei zwischen den Schülern und mir keinen Unterschied. Das hat zur Folge, dass ich mich wirklich Nachmittags zu Hause hinsetze und Symptome und Behandlung von Kinderkrankheiten lerne – und vor allem die dazu gehörenden englischen Vokabeln. Kinderkrankheiten.. naja nun nicht unbedingt in dem Sinne, sondern eher die Krankheiten, von denen Kinder hier am häufigsten betroffen sind: wässriger Durchfall mit Dehydration, Malaria, Lungenentzündung. In geringerer Zahl außerdem: Meningitis, Blutarmut, Asthma, Typhus, Tetanus, Säuglingssepsis, Unterzuckerung und Unterernährung.
Nach der Visite kommen die Mütter (oder die verantwortliche Person) mit ihren Kindern nacheinander zu dem offenen Schwesternzimmer und die kleinen Patienten bekommen ihre Medikamente über den venösen Zugang (oder dieser wird gelegt), wenn nötig wird Blut für Untersuchungen abgenommen und Probenbecher werden ausgegeben. Anschließend können dort einzelne Kinder inhalieren und eine Krankenschwester oder Schüler gehen von Zimmer zu Zimmer und geben Medikamente aus, die geschluckt werden müssen. Danach geschieht nicht mehr viel. Infusionen kontrollieren, Register führen und Dokumentationstabellen ausfüllen, manchmal Neuaufnahmen, vereinzelt Medikamente geben und dann ist meine Arbeitszeit auch schon vorbei.
Die Mütter (oder die verantwortliche Person) schlafen auf dem Boden neben den Patientenbetten. Die meisten bringen sich dafür nur eine Art Bastmatte mit, wenn sich abzeichnet, dass das Kind länger bleiben muss, auch richtige Matratzen (das habe ich allerdings bisher noch nicht gesehen). Essen wird nicht vom Krankenhaus bereit gestellt, aber während der Visiten wird den Müttern erklärt, was sie ihrem Kind geben sollte und was nicht – kaufen müssen sie es dann selbst irgendwo. ORS (Oral Rehydration Solution – Glukose-Salz-Lösung) steht aber immer in einem Kanister vor dem Schwesternzimmer zur Verfügung.

Anmerkung: Ich verwette weiterhin nicht meine letzte Tube deutsches Tomatenmark dafür, dass die Angaben in diesem Blogeintrag richtig sind.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen